Der 1776 angelegte jüdische Friedhof in Niederhof / Brandshagen

Jüdische Friedhöfe sind heute oft einzige sichtbare und zugängliche Zeugen einstigen jüdischen Lebens. Juden, bedingt durch die Anfeindungen ihrer Umgebung ruhelos in den Wirrnissen der Jahrhunderte umherziehend, suchten zumindest für ihre Verstorbenen eine dauerhafte Heimat.

Aufgrund der wechselvollen Geschichte der Juden mit Vertreibungen aus den Städten wurden in der mittelalterlichen Zeit auch die Stätten der Toten verwüstet. Friedhöfe aus der Zeit sind in Stralsund nicht überliefert. Jüdische Grabsteine fanden nicht selten Verwendung für andere Bauten, für Stadtmauern und selbst für Kirchen.

Die aus Kalkstein gefertigten Grabdenkmäler des jüdischen Begräbnisplatzes in Niederhof bei Brandshagen sind, dem Einfluss des Klassizismus folgend, von einer einfachen, klaren Formgebung und zeigen nur gelegentlich einen überwiegend aus stilisierten Ranken bestehenden Schmuck. Sie unterscheiden sich mit ihrer strengen Gestaltung deutlich von den christlichen Grabsteinen jener Zeit. Die offenbar von wenig erfahrenen, nichtjüdischen Steinmetzen in hebräischer Schrift eingemeißelten Texte enthalten neben dem Namen, Sterbe- und Begräbnistag des Toten auch einige lobende Beiworte für den Verstorbenen sowie Segenssprüche. Seltener sind ausführliche Äußerungen über das Leben und Wirken des Beigesetzten. Die geschichtlich bedeutsamste Inschrift befand sich auf dem leider inzwischen zerstörten Grabstein des 1792 verstorbenen Rabbi Zewi Hirsch.

Bei jüdischen Beerdigungen ist es üblich, die Toten in West-Ost-Richtung zu bestatten. So befinden sich auch bei den reihenförmig angelegten Gräbern auf dem Niederhofer Friedhof die Denksteine an der Kopfseite.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde aus der christlichen Friedhofskunst der Sockel unter dem Grabstein übernommen. Der Obelisk setzte sich als Grabsteinform durch, ebenso die deutsche Beschriftung der Grabmäler. Wir finden diese Art der Grabgestaltung auf dem Jüdischen Friedhof in Stralsund.

Anfänglich erfolgten die Judenbestattungen in Ermangelung eines stadtnahen Begräbnisplatzes in dem mecklenburgischen Ort Sülze, zuweilen auch in Ribnitz.

Nachdem der Rat der Stadt es abgelehnt hatte, innerhalb der Ringmauern Stralsunds einen würdigen Friedhof für die Juden zur Verfügung zu stellen, richtete der humanistisch gesinnte Kammerrat Joachim Giese ab 1776 in seinem Gutspark in Niederhof unentgeltlich einen Begräbnisplatz ein, welcher der einzige in Schwedisch-Vorpommern blieb. Er befindet sich in der Nordwestecke des Parks in unmittelbarer Nähe eines runden, beidseitig mit Bäumen gesäumten Walles, der früher als Reitbahn diente. In der schwedischen Matrikelkarte ist an dieser Stelle die „Witte Schantz“, eine 1678 im schwedisch-brandenburgischen Krieg entstandene Befestigung eingetragen.

Trotz mehrfachen Besitzerwechsels des Gutes Niederhof fanden bis 1855 Beerdigungen auf dem Judenfriedhof statt. Vor dem ersten Weltkrieg zählte man 60 Grabsteine. Infolge Zerstörung und Ausgrabung – mehrere Grabdenkmäler fanden in Niederhof als Trittstufen vor den Häusern Verwendung – traten im Laufe der Zeit Lücken in die reihenförmig angelegten Gräber. Die Zeit des Nationalsozialismus überstand der Friedhof ohne jegliche organisierte Zerstörung. 1955 existierten noch 38 Grabsteine, 19 davon gut erhaltene; der Rest zeigte mehr oder weniger starke Spuren der Beschädigung. Im Sommer 1997 befanden sich auf dem inzwischen völlig bewaldeten Begräbnisplatz noch 28 jüdische Grabmale. Nur ein erhaltener Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof in Niederhof trägt figürlichen Schmuck. In einem Halbrelief sind zwei segnende Hände mit Schüssel und Wasserkanne darüber dargestellt. Die segnenden Hände stehen als Symbol für das dem Stamme Levi angehörende Geschlecht der Aaroniden, welche nach der alttestamentlichen Überlieferung die Kohanim (Priester) für den Jerusalemer Tempel stellten, während die übrigen Geschlechter der Leviten die niederen Tempeldienste versahen. Das Stammeszeichen der Leviten besteht aus Kanne und Schüssel. Da der Verstorbene nur einem Stamm angehört haben kann, bleibt die Vereinigung beider Symbole ein Geheimnis dieses Niederhofer Grabsteines.

Das Grabmal für den Vorsteher des jüdischen Lehrhauses Greifswald, Mordechai, trägt folgende Inschrift:

Hier wurde begraben ein rechtschaffener Mann, der Gott fürchtete, ein gerechter Priester aus dem Glanz der Diaspora, der ergriffen hat das Licht, gewandelt ist auf dem rechten Wege und beständig war in seiner Gerechtigkeit bis zum Tag seines Todes. Gerechtigkeit aber übte er zu jeder Zeit nach Art und Weise der Ewigkeit….Der Vorsteher des Lehrhauses Mordechai… Zum Segen sei sein Angedenken!…“

Im Jahre 1999 wurden die Grabsteine gereinigt, so dass die Inschriften wieder lesbar sind.

Quelle: Angela Pfennig: Backstein und Grün, edition herre, 2003 

Quelle: Stadtarchiv Stralsund, Höw87, 1960-1986

Quelle: Stadtarchiv Stralsund, Höw87, 1960-1986

Neuer Friedhof, Greifswalder Chaussee

Infolge der nach den Napoleonischen Befreiungskriegen eingetretenen Verbesserung der rechtlichen Stellung der Juden – sie wurden in beschränkter Anzahl zur Belebung des stagnierenden Handels geduldet – gelang es 1850 der Stralsunder Jüdischen Gemeinde, mit Genehmigung des Rates von einem Ackerbürger ein kleines Feldstück an der Greifswalder Chaussee zu erwerben. Dieses mit Mauern umgebene und 1912 erweiterte Gelände diente nahezu ein Jahrhundert als Friedhof.

Durch das 1938 erlassene „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen“1 verloren die Synagogengemeinden und jüdischen Verbände ihre Stellung als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Eine jüdische Gemeinde existiert seitdem nicht mehr in Stralsund. Im Jahre 1942 kam es im Rahmen der „Entjudung des deutschen Volksvermögens“ zum Verkauf des Jüdischen Friedhofes an die Stadtgemeinde. Für die Beisetzung der noch in Stralsund verbliebenen Juden wurde im gleichen Jahr ein 175m kleines Geländestück auf dem Neuen Frankenfriedhof bereitgestellt. Der Jüdische Friedhof blieb hinfort seinem Schicksal überlassen und verwahrloste.

Mitte der 50er Jahre wurde der Friedhof auf Initiative der Stadt zu einer Gedenkstätte umgestaltet.

Der heutige Besucher des kulturpolitisch bedeutsamen Jüdischen Friedhofes2 findet einen ummauerten, von Rasen bedeckten und mit wenigen Bäumen umrahmten Begräbnisplatz vor. Die Torpfeiler des Eingangs zeigen einen Davidstern im Mauerwerk. Ein umlaufender Weg führt an den entlang der Mauer aufgestellten Grabsteinen vorbei. Der älteste Grabstein stammt aus dem Jahr 1855.

Erwähnt seien die Gräber der weitverzweigten Familie des Warenhausgründers Abraham Wertheim sowie der Grabstein für das Ehepaar Guttmann mit dem Gedenkspruch des Sohnes

Sie starben weil sie Juden waren“.

Seit 1997 befindet sich der Friedhof im Besitz des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern. Eine Tafel am Eingang verweist auf die Geschichte der Juden in Stralsund.

Quelle: Angela Pfennig, Backstein und Grün, edition herre, Stralsund, 2003

1 Gesetz über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Körperschaften“ vom 28.03.1938, veröffentlicht in: Reichsgesetzblatt I 1938, S. 338 

2 Unter Nr. 292 eingetragenes Denkmal der Stadt Stralsund, siehe www.stralsund.de/Verwaltung/denkmalliste.pdf