Das Toleranzedikt des schwedischen Königs von 1777 verbesserte die Lebensbedingungen für Juden in den schwedischen Territorien und führte zu einem wirtschaftlichen Aufschwung in Schwedisch-Vorpommern. In der Folge vergrößerte sich die Zahl der in Stralsund und Umgebung lebenden Juden von 37 im Jahr 1759 auf 119 im Jahr 1784.
Im “Reglement vom 27. Mai 1782” wird den Juden zugestanden, “…in jeder für sie ausersehenen Stadt eine Synagoge zu errichten, auch einen Rabbiner nebst erforderlichen Bedienung zu halten.”. Die gleiche Verordnung erlaubte es den Juden jetzt, sich ein Haus und ein Grundstück zu erwerben. Auf der Grundlage dieser Gesetze kaufte die jüdische Gemeinde das unbebaute Grundstück in der Langenstraße 69.
Der Bau der Synagoge hatte eine Vorgeschichte, denn auf dem Hof besagten Grundstückes stand bereits ein provisorischer Synagogenbau, errichtet auf der Grundlage eines auf 10 Jahre ausgelegten privaten Vertrages mit dem Hausbesitzer, der für den Hauserwerb vormals einen Wechsel über 300 Taler der Gebrüder Lazarus und Joseph Moses verwendet hatte. Eine Klausel dieses Vertrages untersagte dem Hausbesitzer den Verkauf des Grundstückes auf 10 Jahre. Nach Anrufung der schwedischen Regierung seitens der Jüdischen Gemeinde wurde dieser der Kauf des Grundstückes genehmigt und der Rat angewiesen, diesen durchzuführen.
1786 wandte sich die Gemeinde an den Rat der Stadt mit der Bitte, die baufällige provisorische Synagoge durch einen Neubau ersetzen zu können. Nachdem die Erlaubnis erteilt worden war, begann der Umbau der an der Straße liegenden zwei Buden, die zum Grundstück gehörten und der eigentlichen Synagoge auf dem Hof. Sie unmittelbar an den Straßenrand zu setzen, war den Juden per königlichem Beschluss versagt worden. Die Religionsausübung durfte zwar “frei”, aber nicht “öffentlich” erfolgen.
Ende März 1787 erfolgte die feierliche Einweihung der neuen Synagoge und die Umbenennung der Jüdischen Gemeinde in „Synagogengemeinde Stralsund“. Die Synagoge nahm nicht nur die Juden Stralsunds auf, sondern auch die des umliegenden Kreises, inkl. Rügens. Hinsichtlich ihrer Größe und Ausstattung war sie eher schlicht gehalten, besaß aber das für traditionsbewusste Juden unbedingt notwendige Bad. Nach einer langen Periode sinkender Mitgliederzahlen in der Synagogengemeinde begann deren Zahl nach 1850 mit der Durchführung von allgemeinen Reformen in Preußen wieder anzusteigen und erreichte Ende 1887 den Wert von 169 Personen1.
Nach 25 Jahren (1913) machte sich eine Sanierung und Erweiterung2 des Gebäudes notwendig, bei der zwei Anbauten errichtet, die Fenster und der Dachstuhl erneuert und eine Zentralheizung eingesetzt wurden. Nach Beendigung der Arbeiten wurde die Synagoge am 28. Juli 1913 wieder eingeweiht. 200 Plätze standen nun der Gemeinde zur Verfügung. Einer der geladenen Gäste zur Einweihung war der damalige Oberbürgermeister Stralsunds, Ernst Gronow. In seinem Grußwort äußerte er die Hoffnung, „…daß unsere jüdischen Mitbürger so wie bisher in dieser Stadt mit ihren christlichen Mitbürgern in Frieden und Eintracht leben mögen“3.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten war davon nicht mehr die Rede. Durch die nationalsozialistischen Gesetze und Repressalien zur Geschäftsaufgabe und Flucht getrieben oder abgeschoben, verringerte sich die Zahl Stralsunder Juden von 134 – mosaisches Glaubensbekenntnis als Definitionsgrundlage – im Jahr 1933 auf 62 – nach nationalsozialistischer Definition – im Jahr 19394.
Ein erschütterndes Erlebnis für die Juden Stralsunds war die am Morgen des 10. Novembers brennende Synagoge. Ein Gemeindemitglied der 1930er Jahre und Überlebender des Holocaust, Kurt Zimmerspitz, erinnert sich in seinen Briefen an den Stralsunder Eberhard Schiel lebhaft an diesen Morgen5.
Die Synagoge brannte aus und der Rat der Stadt kaufte sie Anfang 1939 für 12.000 Reichsmark6, um sie dann der Technischen Nothilfe zur Nutzung zu übergeben. Die schwersten Schäden erlitt sie im Oktober 1944 beim Bombenangriff auf Stralsund. Nach dem Krieg bemühte sich der Vorbereitende Ausschuss zur Bildung Jüdischer Kulturvereinigungen Mecklenburgs um die Rückübertragung von Grundstück und Gebäude an die zu bildende jüdische Gemeinde Stralsunds. Dazu kam es aber nicht, denn eine jüdische Gemeinde gab es in Stralsund nicht mehr. Nur 6 Juden7 hatten die NS-Zeit in Stralsund überlebt. Am 27. Juni 1949 wurde das Grundstück der Jüdischen Landesgemeinde Mecklenburg mit Sitz in Schwerin übergeben, die wiederum aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl und Finanzkraft bei der Stadtverwaltung anfragte, ob sie am Erwerb der Parzelle interessiert sei. Nach Begutachtung lehnte die Stadtverwaltung ab und teilte der Jüdischen Landesgemeinde Mitte 1950 mit, dass die Ruine aus baupolizeilichen Gründen abgerissen werden muss. Um die Jüdische Landesgemeinde von den Abrisskosten zu befreien, zu denen sie die Landesverordnung verpflichtete, schlug die Stadtverwaltung vor, dem Abrissunternehmen die Baustoffe als Bezahlung zu überlassen. Die zu diesem Zeitpunkt laufenden Verkaufsgespräche zwischen Jüdischer Landesgemeinde und Kaufinteressenten wurden seitens der Stadt nicht als Aufschiebungsgrund akzeptiert. Die Stadt baute immer mehr Druck auf und verhinderte so einen Verkauf von Grundstück und Gebäuderest. Im Herbst 1950 forderte sie die Jüdische Landesgemeinde zum sofortige Abriss auf, da herabstürzende Bauteile bereits das Nachbargebäude bedrohten. Die Jüdische Landesgemeinde gab auf und stimmte dem Gebäudeabriss unter Überlassung der Baustoffe zu.
1951 wurde der Abriss vollzogen und die jüdische Synagoge, die von der Generation der Großeltern mit persönlichen Opfern und voller Stolz erbaut worden war, war Geschichte geworden. Ein Jahr später erbaute man das jetzige Haus Lange Straße 69 und entsprechend der Baugesetzgebung wurde es an die gesamte Straßenlänge gesetzt. Nichts kündete mehr von der Synagoge und das für viele Jahre.
Erst im Frühjahr 2009 brachte man an diesem Gebäude eine Erinnerungstafel an; gestiftet von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, im Beisein des Landesrabbiners William Wolff.
Diese Messingplakette wurde kurz vor dem Gedenktag an die Pogromnacht 2009 von Rechtsextremen gestohlen und im Strelasund versenkt. Die Bürgerschaft bemühte sich, die Tafel schnellstmöglich zu ersetzen. Auch wenn Taucher der Freiwilligen Feuerwehr die ursprüngliche Tafel später wiederfanden, blieb die neue an ihrem Platz, denn in ihrer Kernaussage sind beide gleich:
„Geschehene Dinge lassen sich nicht ändern. Aber man kann dafür sorgen, dass sie nicht wieder vorkommen.“
Anne Frank, 7. Mai 1944
Quellen:
- Stadtarchiv Stralsund, NHöw104, Nachlass Heinz Höwing: 200 Jahre „Synagogengemeinde Stralsund“
- Wolfgang Wilhelmus: Juden in Vorpommern im 19. Jahrhundert, in: H. Heitmann/J.H.Schoeps (Hrsg.), Halte fern dem Land jedes Verderben…, Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, 1995, Hildesheim, Zürich, New York
- Wikipedia, Die Geschichte der Stralsunder Synagoge, unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Stralsund, abgerufen am 18.05.2021
- Stralsund, unter: www.jüdische-gemeinden.de
- Arndt: Geschichte der Stralsunder Juden, Manuskript, Stralsund-Museum
- Briefe ehemaliger Stralsunder Juden an Eberhard Schiel, Privatsammlung Eberhard Schiel